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 „Wer 
    nicht erreichbar ist,
 hat schon verloren“
 
 
 
 Interview: 
    
    
    Björn Brückerhoff    Bild: 
    Trendbüro
 
 Die Möglichkeiten der mobilen
    Kommunikation nehmen rasant zu. Dadurch können sich Menschen immer besser 
    organisieren. 
    Im Internet vernetzen sich User auf Business-Plattformen,  werden Waren und 
    Dienstleistungen online bestellt, Unternehmen 
    bewertet und Erfahrungen ausgetauscht. Die Menschen organisieren sich, ohne sich jemals 
    persönlich begegnet zu sein.
 
 Die neuen Möglichkeiten dieser vernetzten Kommunikation haben Auswirkungen 
    auch außerhalb der virtuellen Gemeinschaften, in denen die Vernetzung schon 
    lange Alltag ist. Durch mobile Kommunikationsgeräte zeigte sich bereits 
    spielerisch,
  was Howard Rheingold als "Flash Mobs" bezeichnet: Menschen 
    erhalten über ihre mobilen Kommunikationsgeräte Ort und Zeit mitgeteilt, man 
    trifft sich, absolviert eine vorher mitgeteilte Aktion und verschwindet 
    wieder in alle Himmelsrichtungen. Flash Mobs sind in der Regel sinnlos: so 
    trafen sich in Deutschland Flash Mobber vor dem Kölner Dom, stimmten die 
    Internationale an und gingen wieder ihrer Wege. 
 Das Flash Mob-Phänomen kann natürlich auch für andere Ziele verwendet 
    werden, die nicht immer so harmlos sind. So können sich 
    
    Demonstranten in nie erreichter Geschwindigkeit formieren, um sich ebenso 
    schnell wieder aufzulösen, wenn ein Teilnehmer vor der anrückenden Polizei 
    warnt. Die Smart Mobber bilden Schwärme und profitieren vom Wissen aller 
    Beteiligten.
 
 Obwohl diese Zweckgemeinschaften überall gebildet werden, 
    ist der Wunsch nach Individualität stärker als je zuvor. Die eigene 
    Persönlichkeit findet Ausdruck in allen möglichen Details: von der farbigen 
    Handyschale bis zur unendlichen Auswahl des Autolacks. Natürlich stets im Rahmen des technisch Machbaren.
 
 Wie gehen diese Entwicklungen weiter? Die Alten der Zukunft, die diese 
    einschneidenden sozialen Veränderungen miterleben könnten, sind längst auf der Welt. Wie werden sie 
    damit umgehen? Und was wird aus denen, die nicht mithalten können?
 
 Die Gegenwart hat mit dem Gründer des Hamburger Trendbüros, Professor Peter Wippermann, 
    über die Verjüngung der Alten, die Renaissance klassischer Werte und über 
    die Folgen der Schwarmbildung gesprochen.
 
 Die 
    Gegenwart: Herr Professor Wippermann, 
    
    vor 
    30 Jahren war man mit 60 Jahren „alt“ im klassischen Sinne. Heute fühlen 
    sich viele 60-Jährige eher wie Ende 40. Auf welche 
    Faktoren – neben dem medizinischen Fortschritt – führen Sie diese 
    Entwicklung vor allem zurück und wie wird sich dieser Trend fortsetzen?
 
 Professor Peter Wippermann: Diese Entwicklung lässt sich seit 1880 beobachten, statistisch werden wir 
    jedes Jahr um drei Jahre älter. Es scheint einen Zusammenhang von 
    Lebenserwartung und der Organisation von Arbeit zu geben. Mit der 
    beginnenden Industrialisierung haben sich die Arbeitsbedingungen für große 
    Teile der Bevölkerung verbessert. Die Arbeit auf dem Land war härter. Die 
    Sozialgesetzgebungen, Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt, schützte vor 
    körperlicher Ausbeutung. Freizeit, Krankheit- und Altersruhezeit wurde für 
    alle gesetzlich eingeführt. Damals lag die durchschnittliche Lebenserwartung 
    noch bei 45 Jahren, Rentenansprüche gab es übrigens erst ab 75 Jahren. Heute 
    liegt die Lebenserwartung bei 85 Jahren und das offizielle Rentenalter bei 
    65 Jahren. Das dieses Modell nicht für die Zukunft tragfähig sein wird, kann 
    man auch erkennen, wenn man kein Rentenfachmann ist.
 | AUSGABE 44 DIE NEUEN JUNGEN ALTEN
 
 
 
  
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 EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF
 INTERVIEW MIT PROF. 
    PETER WIPPERMANN
 DIE NEUEN 
    ALTEN
 ZWEITER FRÜHLING.COM
 NEUE ZEITRECHNUNG
 DIE HEIMLICHE ZIELGRUPPE
 WELCHE FARBE HAT DAS ALTER?
 DÜRFEN SIE SCHON/MÜSSEN SIE 
    NOCH?
 SEXY GREISE UND WEISE DAMEN
 GLEICHZEITIG ALT UND JUNG
 GESCHICHTE DES ALTERS IN DER ANTIKE
 
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    Die Medien- 
    oder Wissensgesellschaft, die mit der Verbreitung des World Wide Webs vor 
    etwa zwölf Jahren begann, schafft neue Lebenshorizonte. Wir werden länger leben 
    als jemals Menschen zuvor, aber wir müssen uns erst noch daran gewöhnen, 
    dass wir länger alt als jung sein werden. Uns fällt es ja noch schwer, uns 
    vom klassische Modell der drei Lebensphasen zu verabschieden. Jugend und 
    Ausbildung, Erwachsensein und Arbeiten sowie Alter und sorgenfreier 
    Ruhestand, so wünschen wir uns noch immer die kollektive Lebensplanung,  sie 
    war mit den Idealen der Industriegesellschaft entstanden und wird mit ihr 
    untergehen. Unter den Netzwerkbedingungen der Mediengesellschaft werden 
    individuelle und dynamische Lebenskonzepte erfolgreich sein, die eine 
    längere Lebenszeit aktiv gestalten. 
 Die 
    Gegenwart: 
    Medien 
    tragen zur Individualisierung und Beschleunigung der Gesellschaft bei. 
    Produktlebenszyklen werden kürzer, die Personalisierungsmöglichkeiten immer 
    vielfältiger. Der Konsument erhält neue Möglichkeiten, seiner Individualität 
    Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig werden Menschen mit zunehmendem Alter 
    nicht unbedingt entscheidungsfreudiger. Heutige technische und soziale 
    Entwicklungen sind die Grundlage für dieses Szenario. Wie lernen die Alten 
    von morgen, den zukünftigen Voraussetzungen erfolgreich begegnen zu können?
 
 Wippermann: Die Anpassungsträgheit an eine veränderte Umwelt ist tatsächlich ein großes 
    Problem. Noch heute, drei Jahre nach der Währungsumstellung, rechnet die 
    Mehrheit aller Deutschen den gültigen Euro in die ungültige Mark um. So 
    versuchen sie, eine eigene Vorstellung vom Wert der Angebote zu bekommen. 
    Das ist reine Illusion, denn keiner kann sich an die Preise nach über drei 
    Jahren noch erinnern. Bei den über 60-Jährigen sind es noch 89 von 100 
    Konsumenten, die keine Wertvorstellung  von den aktuellen Währung haben. 
    Wenn wir bedenken, dass diese Bürger in zwölf Jahren die größte Gruppe in 
    der Bevölkerung stellt, dann sind die kommenden Probleme bekannt.
 Trotzdem braucht man nicht zu pessimistisch sein. Die Verbreitung der 
    Mobiltelefone lässt erkennen, dass die älteren Nachzügler mit zunehmender 
    Verbreitung neuer Technologien sich beschleunigt anpassen. Heute nutzen die 
    60-Jährigen die Handys wie die Zehnjährigen. Was sich unterscheidet, ist der 
    kulturelle Umgang mit der Technologie. Während sich die Jungen von ihrem 
    sozialen Umfeld ausgeschlossen fühlen, wenn man ihnen das Handy wegnehmen 
    würde, vermissen die Älteren nur die Bequemlichkeit des Telefonierens.
 Die Anbieter von zukünftigen technologischen Angeboten haben längst erkannt, 
    dass im Silver Market der Neuen Alten das Geschäft der Zukunft liegt. Schon 
    heute weist die GFK-Statistik über den Absatz von Konsumentenelektronik 
    einen deutlichen Zuwachs bei den älteren Konsumenten ab 50 Jahren aus, 
    während alle anderen Alterseinheiten leicht zurück gingen. Die Neuen Alten 
    stellen die größte und wohlhabendeste Gruppe der Käufer. Sie sind 
    konsumfreudig. Aber sie leben ein gefühltes Alter, dass den amtlichen 
    Geburtsschein korrigiert und um fünfzehn Jahre nachdatiert. Das müssen die 
    Anbieter berücksichtigen.
 Die Alten werden lernen sich anzupassen, wenn auch langsam. Die 
    Herausforderung für die Anbieter wird sein, Geräte und Dienstleistungen so 
    einfach zu gestalten, dass bei der Nutzung eine Dauerjugendlichkeit der 
    gefühlte Nutzen sein wird. Die Produkte für den Silver Market  müssen jung 
    aussehen und altersbedingte Schwächen automatisch kompensieren. Für alle 
    lautet der Schlachtruf auf dem Silver Market “Nie wieder alt”.
 
 Die 
    Gegenwart: 
    Viele 
    jüngere  Menschen besinnen sich heute wieder auf Moral und alte Tugenden. Wie 
    passt das zur immer stärkeren Individualisierung der Gesellschaft? Werden 
    diese Tugenden auch gelebt?
 
 Wippermann: Moral und Tugend sind interessant geworden, da die traditionellen 
    Institutionen ihre kollektiven Bindungskräfte verloren haben. Von der 
    Familie, über die Religionen bis hin zu den Parteien und gesellschaftlichen 
    Vereinigungen sind die Orientierungsrahmen zerfallen. 
    Lebensabschnittsbeziehungen sind heute Realität. Statt lebenslange Treue zum 
    Partner vor Gott und dem Staat zu schwören, halten 79 von 100 Deutschen Liebe 
    ohne Trauschein für möglich. Die kontinuierlich steigenden Scheidungsraten 
    belegen das. Die Zahl der unehelichen Kinder hat sich seit den siebziger 
    Jahren verdreifacht. Die eigene Individualität wird stärker gelebt, als es 
    zwischenmenschliche Beziehungen dauerhaft aushalten. Die Ideale aus der 
    Arbeitswelt, Flexibilität, Dynamik und Effizienz, sind in das private Leben 
    übernommen worden. Alles was gelebt wird, könnte noch besser sein. Vor 
    diesem Hintergrund der persönlichen Steigerungslogik werden vergangene 
     Moralvorstellungen und Tugenden romantisch. Sie verlieren ihre 
    disziplinarische dunkle Seite und werden idealisiert. Alles was 
    verschwindet, bekommt einen ideellen neuen Wert. So sind Hochzeiten als 
    Event im Ansehen gestiegen. Die besten Freunde, bei schönstem Wetter, vor 
    einer richtigen Kirche auf einem Video, das hat seinen Reiz. Aber 
    gleichzeitig ist der Wille zur Ehe deutlich gesunken.
 
 Die Gegenwart: 
    Suchen 
    die Menschen in Moralvorstellungen Orientierung, die sie durch die 
    Multioptionalität der Gesellschaft schon heute verlieren?
 
 Wippermann: Die neue Moral der Netzwerkkinder ist von technischer Natur. Sie müssen 
    Anschlussfähigkeit beweisen, sonst werden sie ausgeschlossen. Wer nicht 
    erreichbar ist, hat schon verloren. Verbindlichkeiten sind wörtlich zu 
    nehmen. Es geht um Verbindungen. Räumliche Nähe ist durch mediale Nähe 
    ersetzt worden, das lernt man schon mit dem Babyphone. Man kann jederzeit 
    nach Mama schreien. Erreichbarkeit ist der Inbegriff der Freiheit. Wir sind 
    Hightech-Nomaden und müssen Fernanwesenheit leben, da wird die Nettigkeit 
    zur selbst gesuchten Pflicht. Wer nicht antwortet, bekommt keine Email, kein 
    SMS oder  noch schlimmer, keinen Anruf. Es wird nicht mehr ermahnt und 
    Besserung gewährt. Unter Medienbedingungen heißt Moral “offen sein und 
    antworten”. Mediales Kraulen ist der Lohn.
 
 Die Gegenwart:
    „Entlernen“ 
    sei eine Voraussetzung, um in Zukunft Routinen überdenken und sein Handeln 
    veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen zu können. Das wird 
    nicht jeder können. Wie werden die zukünftigen Alten des Jahres 2050 heute 
    auf dieses flexible Denken vorbereitet?
 
 Wippermann: 
    
    
    „Entlernen“
    
    widerspricht der persönlichen Erfahrung der 
    Älteren. Bisher 
    konnte man auf das Gelernte aufbauen. Mit zunehmenden Alter stieg die 
    Lebensweisheit, jung lernte von alt. So war das damals. Jetzt müssen die 
    Neuen Alten von den Jungen lernen. Das traditionelle Weiterlernen 
    funktioniert in einem Strukturwandel nicht mehr. Die Basisinnovation der 
    vernetzten Computer, das Internet, verändert alle Lebensbereiche. 
    Kommunikation löst die Produktion in der Bedeutung der Wertschöpfung ab. Es 
    geht nicht mehr um das Besitzen sondern um das Benutzen.
 Die Wertschöpfung verlagert sich von den Industriemärkten zu den 
    Wissensmärkten. Die Internet Suchmaschine “Google” macht das deutlich. 
    Gewusst wo, wird zum Algorithmus und über 80 Prozent der deutschen 
    Internetuser nutzen das amerikanische Angebot. Der Börsenwert der sieben 
    Jahre alten Firma “Google”  übersteigt inzwischen die gemeinsamen 
    Notierungen der Autokonzerne General Motors und Ford  - und das nach dem 
    Platzen der Finanzblase der New Economy vor fünf Jahren. Hier Enden die 
    Erfahrungen der Besitzer von Telefon-, Adress- und Branchenbuches. Wer 
    “Entlernen” erfahren möchte, sollte “
  Google
    Earth” besuchen. Hier kann man 
    vom Weltraum über das Land, die Stadt zur gewünschten Strasse zu zoomen und 
    erhält dann auch gleich Informationen von “Wikipedia,” doch das ist eine 
    andere Geschichte. Mehr ist anders, auch beim lernen. 
 Die Gegenwart:
    Stichwort 
    Schwarm-Intelligenz: Die Menschen bilden themengebundene und zweckorientierte 
    Schwärme, die einen persönlichen Kontakt praktisch unnötig machen. Sich in 
    einer Partei oder einem Verein zu engagieren, verliert durch die Fixierung 
    auf den Zweck an Bedeutung. Damit wird man zwar der Eigenverantwortlichkeit 
    gerecht, persönliche Ziele lassen sich leichter erreichen oder 
    gesellschaftliche Veränderungen schnell herbeiführen, doch die soziale 
    Komponente wird beeinträchtigt. Wie kann dieser Individualisierung begegnet werden?
 
 Wippermann: Warum sollten wir das? Individualisierung, Flexibilität und Effizienz sind 
    Werte, die uns kollektiv faszinieren. Wir haben eine Technologie entwickelt, 
    die soziale Nähe organisiert. Warum sollten wir diese neuen Möglichkeiten 
    nicht erkunden und nutzen? Menschen sind widersprüchliche Wesen. Jeder 
    möchte anders sein als die anderen, aber auf keinen Fall allein bleiben. 
    Zwischen diesen Polen pendeln wir in unserem Alltag. Wenn das Internet die 
    technische Revolution war, erleben wir jetzt eine soziale Evolution, die wir 
    “Schwarm-Intelligenz” nennen. Durch die “Schwarm-Intelligenz” organisieren 
    Programme unser soziales Verhalten, dynamisch, persönlich und erfolgreich. 
    Smarte Mehrheiten entstehen, die individuelle Interessenlage entscheidet, 
    mit wem ich verbunden werde. Das Netz verknüpft Gemeinschaften auf Zeit.
 
 Die Gegenwart:
    Ältere Arbeitnehmer haben 
    heute kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, die Rentenkassen 
    sind leer, die Sozialsysteme überlastet. Gleichzeitig ist lebenslanges 
    Lernen Voraussetzung für die Herausforderungen einer sich rasant verändernde 
    Welt. Dafür jedoch benötigt man Zeit, Aufgeschlossenheit gegenüber 
    Technologie und vor allem Geld. Wie sehen die Ansätze aus, die diese Kluft 
    überwinden –
    oder wird die Gesellschaft noch deutlicher gespalten)?
 
 Wippermann: Die Wohlfahrtsidee der Industriegesellschaft wollte den Mangel an Produkten 
    überwinden. Das ist gelungen. Alle westlich orientierten 
    Post-Industrienationen leiden nicht an der Unterernährung ihrer Bevölkerung, 
    sondern an der Überernährung. Überproduktion und Verdrängungswettbewerbe 
    haben globalen Maßstab angenommen. Die Produktionsstandorte in Deutschland 
    haben Konkurrenz bekommen. Shanghai wurde zum Vorort von Berlin, die 
    Arbeiter in Tschechien die besseren Wolfsburger Autobauer und die Deutsche 
    Bank möchte keine deutsche Bank mehr sein.
 Nach der Rationalisierung und teilweisen Auslagerung der Produktion, beginnt 
    jetzt eine radikale Reorganisation in den Verwaltungen. Die Konsumenten 
    übernehmen die Back Offices. Sie machen ihre Büroarbeit selbst, von zu Hause 
    aus. Ob Online-Banking, das Buchen von Billig-Flugreisen oder das ver- und 
    einkaufen bei Ebay, überall verschwindet die traditionelle Büroarbeit. Wenn 
    man erinnert, das heute schon 18 Prozent der Pakete von DHL (Post) von 
    Ebay-Kunden gepackt und versandt werden, dann weiß man, wie weit die 
    Entwicklung vorangeschritten ist.
 Die Funkmicrochips der RFID-Technologie werden in zehn Jahren 40 Prozent der 
    traditionellen Büroarbeitsplätze überflüssig machen, da der 
    Wertschöpfungsprozess automatisch von Kunden selbst gesteuert wird, so 
    amerikanische Berechnungen.
 Ein Zurück wird es für ältere Arbeitnehmer kaum geben, da der Leistungsdruck 
    in den Unternehmen globalen Standards folgt. Doch das Erstaunliche wird 
    sein, dass wir eine Do-It-Yourself-Ökonomie bekommen werden.  Alle, die 
    bereit sind Neues zu lernen oder sich mit neuen Ideen am Markt beteiligen, 
    können erfolgreich sein. Inzwischen sind allein bei Ebay 10.000 digitale 
    Tante-Emma-Läden entstanden, Power-Seller genannt. Wer computergestütztes 
    Design einsetzt, kann in Asien produzieren (File-to-Factory) und im Internet 
    über Ebay global vertreiben, ohne Kenntnisse des Managements und des 
    Marketings zu besitzen.
 Betroffen werden aber gar nicht die Älteren, da diese besser abgesichert 
    sind, als alle anderen in unserer Gesellschaft. Die Herausforderung liegt in 
    der Generation Y oder auch Sandwich-Generation genannt. Sie müssen für sich 
    selbst, ihre Kinder und neuerdings auch für die Eltern und Schwiegereltern 
    wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Familien mit Kindern gehören heute 
    schon zu den sozialen Absteigern, während die Neuen Alten und die Singles 
    die Gewinner sind.
 
 Die Gegenwart: Welche 
    Kompetenzen sind erforderlich, um in den Schwärmen „mitschwimmen“ zu können?
 
 Wippermann: Technologisches Infrastruktur, totale Kundenorientierung als 
    Organisationsprinzip, vor allem aber, die Weitsicht Macht an die vernetzten 
    Konsumenten abgeben zu können.
 
 Die 
    Gegenwart: Wo 
    lassen sich heute schon Tendenzen der Schwarmbildung erkennen?
 
 Wippermann: Bei “Google” wird die Verlinkung der Homepages aller Internetnutzer zum 
    Orientierungsgeber des Rankings von Informationen, hier ist 
    Schwarm-Intelligenz das Business Modell.
 Die Demonstrationen gegen den beginnenden Irak-Krieg waren die ersten 
    politischen Smart-Mobs, die über Handy und Internet organisiert. Politik 
    ohne Parteien, Politiker und Organisationen wurde Realität.
 Im Marketing setzt der Mobilfunkanbieter O2 die Flash-Mob-Strategie ein, um 
    Kunden zu Events einzuladen. Peer-to-Peer Marketing schafft Aufmerksamkeit, 
    die Massenmedien nicht mehr erreichen.
 
 Die Gegenwart: Wie 
    und wo wird das Potenzial von Schwarmbildung schon heute wirtschaftlich 
    genutzt?
 
 Wippermann: Das Textilunternehmen Inditex hat mit der Marke Zara das Prinzip der 
    Globalisierung auf den Kopf gestellt. Zeit ist wichtiger geworden, als die 
    Kosten der Produktion. Die Leistung des Unternehmens besteht in der 
    täglichen Sichtung globaler Verkaufsdaten aus 2.300 Läden in der spanischen 
    Zentrale. Die Lieferzeiten neuer Modeartikel wurde von der Produktion bis 
    zur Auslieferung auf drei Tage verkürzt. 200.000 Kleinauflagen erreichen die 
    Läden im zweiwöchentlichen Rhythmus, jährlich. Zwar werden Longseller in 
    China produziert, aber Hauptproduktion ist in Spanien und Portugal 
    verblieben. Kundennähe wurde globalisiert, die Zeit zum Wettbewerbsfaktor.
 
 Die 
    Gegenwart: Ist 
    schon heute erkennbar, wem die Voraussetzungen der Teilnahme am Schwarm in 
    Zukunft fehlen werden?
 
 Wippermann: 
    Alle Eliten, die Kreativität und Ideenfindung mit Problemlösung, 
    Koordination und Entscheidungsfindung verwechseln. Schwarm-Intelligenz kann 
    keine Innovationen bieten. Erfindungen sind individuelle Prozesse, aber alle 
    anderen Organisationsprinzipien können über Schwarm-Intelligenz effizienter 
    organisiert werden. Voraussetzung ist, dass der Schwarm viele Mitglieder 
    ausmacht und Zugang zum globalen Netz hat.
 
 Die 
    Gegenwart: 
    Auch 
    Schwarmbildung birgt ein Demokratisierungs-versprechen. Alle entscheiden von 
    unten – aber ist das wirklich so? Birgt Schwarmbildung nicht auch Gefahren 
    für die demokratische Gesellschaft?
 
 Wippermann: Schwarm-Intelligenz wird zum Organisationsprinzip einer Gesellschaft auf 
    digitaler Gegenseitigkeit. Offenheit, Transparenz und das Sharing-Prinzip 
    werden die Voraussetzungen sein.
 Schwarm-Intelligenz als Organisationsprinzip ist neutral. Es kann wie ein 
    Messer zum Guten oder Bösen eingesetzt werden. Terrornetzwerke haben die 
    Kraft der Schwarm-Intelligenz genauso erkannt, wie Unternehmen, Konsumenten 
    und Bürger.
 
 Die Gegenwart: Was 
    wird aus jenen, die keinen Zugang zu den erforderlichen Technologien 
    besitzen oder kein Interesse haben, in den Schwärmen mitzuschwimmen?
    Eine eigene Zielgruppe?
 
 Wippermann: Wer nicht angeschlossen ist, wird ausgeschlossen. Aber letztlich wird keiner 
    mehr ohne Internetfähigkeit leben können. In den Karten der 
    Fußball-Weltmeisterschaft sind bereits RFID-Chips integriert, die Auskunft 
    über den Kartenkäufer geben und die jederzeit den globalen Aufenthaltsort 
    der Karte angeben können. Diese Netzwerkfähigkeit wird durch RFID und GPS 
    (das globale Ortungssystem) gewährleistet. Ab nächstem Jahr werden unsere 
    Reisepässe und Personalausweise und die neue zentrale Gesundheitskarte 
    gleiche Fähigkeiten in sich tragen. Auch wenn es noch zehn Jahre dauern wird, 
    bis jeder Joghurt internetfähig sein wird, werden wir außerhalb der  Medien- 
    oder Wissensgesellschaft nur als radikale Fundamentalisten überleben können.
 
 Die Gegenwart: Wie 
    wird man diese Zielgruppe ansprechen?
 
 Wippermann: Man wird sie ungefragt orten und einbeziehen. Die Videoüberwachung in 
    Bussen, in Häusern und auf Strassen ist bereits Realität. Das 
    gesellschaftlich akzeptierte Sicherheitsdenken ist stärker als der 
    individuelle Anspruch auf Privatsphäre.
 
 Die 
    Gegenwart: 
    Wie 
    sehen Gegenmodelle zur Schwarmbildung aus?
 
 Wippermann: Alle Retro-Utopien, die eine Abschaffung aller interaktiver Netzwerke 
    fordern, könnten ein Gegenmodell sein.
  
 
 
 
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