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Unter Generalverdacht

Medienjournalismus in der Forschung
 
Text: Maja Malik, Münster     Bild: Michael Bretherton, Brisbane  

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Wenn es um Medienjournalismus geht, sind sich Kommunikations-wissenschaftler und Medienjournalisten erst einmal ungewöhnlich einig: Die Berichterstattung über die eigene Branche ist ein journalistischer Spezialfall. Sie berührt unmittelbar Interessen von Kollegen, Redaktionen und Medienunternehmen und unterliegt deswegen speziellen Rahmen-bedingungen und Einflüssen. Von Journalisten wie von Wissenschaftlern wird sie kritisch beäugt, stets im Verdacht, von besonderen Motiven und eigenen Interessen gesteuert zu sein.

Die Wissenschaftler, aber auch die Journalisten, die in wissenschaftlichen Sammelbänden zu Wort kommen, beschäftigen sich denn auch vornehmlich mit den Problemen, die mit dem Journalismus „in eigener Sache“ einhergehen  mit der „Selbstbeobachtungsfalle“, mit dem „Dilemma des Medienressorts“, mit den „Risiken der Selbstbeobachtung“, mit „Selbstbespiegelung und Konkurrenzbeschimpfung“ oder gar mit dem „Untergang der Medienkritik“. Dabei ist das Fundament der wissenschaftlichen Publikationen zum Medienjournalismus allerdings nicht gleichermaßen solide.

Einige Studien basieren auf umfassenden empirischen Analysen, welche die Merkmale und Einstellungen der Medienjournalisten, die Entscheidungsstrukturen der Redaktionen oder die Inhalte der Medienberichterstattung systematisch in den Blick nehmen (
1). Mit diesen Studien werden einerseits besondere Hindernisse und Einschränkungen des Medienjournalismus in Deutschland belegt: Erstens ist das Thema „Medien“ nur in wenigen Redaktionen organisatorisch fest verankert und hinreichend mit Personal ausgestattet. Medienjournalismus bleibt daher oft auf eine Berichterstattung über das Fernsehprogramm und über Fernsehprominenz beschränkt. Zweitens wird Medienkritik zum Problem, wenn das eigene Haus  das eigene Medienunternehmen oder die eigene Redaktion  zum Thema wird. Dann kommen Strategien der positiven Selbstdarstellung unausweichlich ins Spiel. Erfolge des Hauses werden hervorgehoben, Pleiten, Pech und Pannen eher verschwiegen. Ein Vorgehen also, das zwar bei jedem Unternehmen Gang und Gäbe ist, im Journalismus aber den Erwartungen an eine motivfreie, möglichst objektive Berichterstattung widerspricht.

Andererseits zeigen diese systematischen Analysen aber auch, dass die spezifischen Beschränkungen der Medienberichterstattung bei weitem nicht immer wirksam werden, dass guter Medienjournalismus also durchaus existiert. Und zwar immer dann, wenn es im Blatt bzw. im Programm ausreichend Personal und Platz für eine umfassende Medienberichterstattung gibt, wenn Redaktionen nicht selbst von einem Thema betroffen sind, wenn die innere Pressefreiheit im Medienunternehmen und von der Chefredaktion ernst genommen werden. Alles in allem heißt das: Die Medienberichterstattung in Deutschland kann durchaus einen umfassenden Blick auf die wichtigen Medienereignisse und -entwicklungen bieten. Zwar nicht jederzeit in jeder Publikation, stets aber durch die gegenseitige Ergänzung der einschlägigen Angebote.

Dennoch stellt ein großer Teil der Publikationen den Medienjournalismus anhand von Fallbeispielen unter Generalverdacht. In Aufsätzen und Sammelbänden beschreiben Wissenschaftler und Medienkritiker einzelne journalistische Fehlleistungen, um die Defizite der Medienberichterstattung insgesamt zu beklagen (
2). Anders als etwa in den USA sei der Medienjournalismus in Deutschland nicht in der Lage, durch Selbstkontrolle zur journalistischen Qualitätssicherung beitragen, Transparenz und Orientierungshilfe im Mediendschungel bieten und durch kritische Analysen die Rolle der Medien in der Mediengesellschaft beleuchten. Die gelungenen Gegenbeispiele in der unabhängigen Tageszeitung, im engagierten Blog, im Fachmagazin mit akribisch recherchierten Geschichten werden dabei oft geflissentlich übersehen.

Warum ist die Wissenschaft anscheinend geradezu auf der Suche nach Beispielen für einseitige und interessengeleitete Medienberichterstattung, um den Generalverdacht gegen den Medienjournalismus immer wieder zu bestätigen? Einerseits liegt dies in der Natur ihrer Funktionsweise: Sie macht auf Probleme und Defizite aufmerksam und kann gegebenenfalls Verbesserungen anregen. Andererseits nimmt die Wissenschaft die Medienberichterstattung mit großen Erwartungen in den Blick. Sie hofft auf journalistische Selbstkontrolle, Qualität, Transparenz und Glaubwürdigkeit der Medien durch Medienkritik. Dazu sollen Medienjournalisten besondere Fähigkeiten an den Tag legen, sich beispielsweise „frei machen vom Aktualitätsdruck und geduldig in den Medienbetrieb hineinhorchen“, Medienbeobachtung als „Aufklärungsprojekt“ betreiben, einem „Verantwortungsprinzip“ folgen (
3).

Diese Erwartungen werden in der Regel enttäuscht. Medienberichterstattung zielt nicht in erster Linie auf Kritik, Kontrolle und Aufklärung ab, sondern ist  wie der Journalismus in Deutschland insgesamt  vor allem auf aktuelle Information und auf Service für sein Publikum ausgerichtet. Unter diesen Umständen wird die wissenschaftliche Suche nach gelungenem Medienjournalismus zur self-fulfilling prophecy: Sie ist vornherein zum Scheitern verurteilt.

Die Autorin




Dr. Maja Malik


Maja Malik, (geboren 1974) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Institut für Kommunikations-wissenschaft der Universität Münster und arbeitet dort an dem Forschungsprojekt Journalismus und Wandel. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Geo-graphie, Politikwissenschaft und Anglistik an den Universitäten Münster und Mainz und promovierte 2003 mit einer Arbeit über die Funktion, Strukturen und Strategien der journalistischen Selbstthematisierung, für die sie mit dem Dissertationsförderpreis der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikations-wissenschaft ausgezeichnet wurde. Von 2003 bis 2006 war Maja Malik als wissenschaft­liche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg für die Studie  Journalismus in Deutschland II zuständig, die jüngst unter dem Titel Die Souffleure der Medien-gesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland erschienen ist.

Fußnoten

(1)
Siehe zum Beispiel: Udo Michael Krüger/Karl H. Müller-Sachse (1999): Medienjournalismus. Strukturen, Themen, Spannungsfelder. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag; Susanne Fengler (2002): Medienjournalismus in den USA. Konstanz: UVK; Maja Malik (2004): Journalismusjournalismus. Funktion, Strukturen und Strategien der journalistischen Selbstthematisierung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften; Ralph Weiß (Hrsg.) (2005): Zur Kritik der Medienkritik. Wie Zeitungen das Fernsehen beobachten. Berlin: Vistas.
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(2)
Siehe zum Beispiel: Stephan Ruß-Mohl/Susanne Fengler (Hrsg.) (2000): Medien auf der Bühne der Medien. Zur Zukunft von Medienjournalismus und Medien-PR. Berlin: Dahlem University Press; Thomas Jüngling/Hartmut Schultz (Hrsg.) (2000): Medienjournalismus und Medien-PR. Systematische Grundlagen und Beiträge aus der Praxis. Berlin: Vistas; Michael Beuthner/Stephan Alexander Weichert (Hrsg.) (2005): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
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(3) So zuletzt gefordert von Stephan Weichert im Journalistik-Journal 2/2006, Seiten 11-13.
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