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Der Medienkodex des Netzwerks Recherche
- realitätsfern?
 
Text: Jens O. Brelle, Hamburg     Bild: Daniel Wildman, Stoke on Trent  

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Die Pressefreiheit endet, wo die Selbstzerstörung beginnt": Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus. Um seine Qualität und Unabhängigkeit zu sichern, setzt sich das „Netzwerk Recherche“ für dieses Leitbild ein. Ist das realistisch?

Die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ versteht sich als „Lobby für den in Deutschland vernachlässigten investigativen Journalismus“ und Interessensvertreter „jener Kollegen, die oft gegen Widerstände in Verlagen und Sendern intensive Recherche durchsetzen wollen“.

„Netzwerk Recherche“ hat im Februar 2006 einen zehn Punkte umfassenden „Medienkodex“ vorgelegt, der Journalisten aller Medien Orientierung in der beruflichen Praxis geben soll. Um Qualität und Unabhängigkeit des Journalismus zu sichern, setzt sich das Netzwerk für ein Leitbild ein, das anspruchsvolle Qualitäts-Standards und Selbstverpflichtungen der Journalisten fordert.

  1. Journalisten berichten unabhängig, sorgfältig, umfassend und wahrhaftig. Sie achten die Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte.

  2. Journalisten recherchieren, gewichten und veröffentlichen nach dem Grundsatz „Sicherheit vor Schnelligkeit“.

  3. Journalisten garantieren uneingeschränkten Informantenschutz als Voraussetzung für eine seriöse Berichterstattung.

  4. Journalisten garantieren handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen.

  5. Journalisten machen keine PR.

  6. Journalisten verzichten auf jegliche Vorteilsnahme und Vergünstigung.

  7. Journalisten unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen.

  8. Journalisten verpflichten sich zur sorgfältigen Kontrolle ihrer Arbeit und, wenn nötig, umgehend zur Korrektur.

  9. Journalisten ermöglichen und nutzen Fortbildung zur Qualitätsverbesserung ihrer Arbeit.

  10. Journalisten erwarten bei der Umsetzung dieses Leitbildes die Unterstützung der in den Medienunternehmen Verantwortlichen. Wichtige Funktionen haben dabei Redaktions- und Beschwerdeausschüsse sowie Ombudsstellen und eine kritische Medienberichterstattung.

Das  „Netzwerk Recherche“ versteht den Medienkodex auch als Impuls für selbstkritische Diskussionen in den Redaktionen und als Anregung zur beruflichen Reflexion. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Der Deutsche Presserat hält den Medienkodex für praxisfern: Während der Pressekodex die gesammelte Erfahrung aus einer kontinuierlichen Beschwerdearbeit des Presserats darstelle, orientieren sich die Regeln des Medienkodex nach Ansicht des Presserats eher an einem – unrealistischen – Idealzustand.

So sei es zwar ohne Frage wichtig, Werbung vom redaktionellen Teil streng zu trennen, sagte die Sprecherin des Deutschen Presserates, Ilka Desgranges. Die Forderung "Journalisten machen keine PR" gehe aber an den Arbeitsbedingungen vor allem vieler junger Kolleginnen und Kollegen vorbei. "Fasst man die Regel so eng, kommt das einem Berufsverbot für freie Journalisten sehr nahe." Im Kodex des Deutschen Presserates dagegen ist die Trennung von Redaktion und PR geregelt. Nach Ziffer 7 des Pressekodex haben sich Verleger und Journalisten verpflichtet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Und zu seinem 50jährigen Bestehen hat der Presserat jetzt eine überarbeitete Fassung der journalistischen Leitlinien präsentiert, in der ie Notwendigkeit der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung präzisiert wird.

Dem entgegnet Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerks Recherche, im Medienmagazin Insight“: „Wir wollen eine Rückkehr zur Normalität, das heißt eine strikte Trennung von zwei Berufswelten. Journalismus und PR haben verschiedene Aufgaben und Anforderungen. An dieses Selbstverständlichkeit und weitere wichtige Standards wollen wir mit dem Medienkodex erinnern. Es wäre sinnvoll, wenn sich der Presserat mit diesem Verständnis von medialer Realität öffentlich – und nicht hinter verschlossenen Türen –auseinandersetzen würde. Wir plädieren für klar getrennte, aber selbstverständlich legitime Berufswelten. PR-Mitarbeiter und Pressesprecher haben grundlegend andere Aufgaben als Journalisten. Das muss wieder klar werden und darf nicht als Idealismus diffamiert werden.“

Karin Wenk von der Gewerkschaft Ver.di nimmt jedoch die Kritik auf, die sich vor allem gegen die „Arroganz der Netzwerker“ richtet. Realitätsverlust wird vermutet, da die neuen „Kodexierer“ Regeln aufgestellt haben, die alltagsfern und in ihrer Reinheit kaum durchsetzbar sind: „Die lancierte Initiative hat nicht nur den faden Beigeschmack des Sich-selbst-zur-Schaustellens, sondern auch der Ignoranz gegenüber der Masse der BerufskollegInnen, den Journalistengewerkschaften und Selbstkontrollgremien der Branche.“ (aus: ver.di-Kolumne „Einzeln oder vernetzt“? v. 25.03.2006).

Das sich diese schon seit Jahrzehnten mit ethischen Standards beschäftigen, sei die Aussage in der Präambel des Medienkodex, dass es für Journalisten eines Leitbildes bedarf weder neu noch originell. Karin Wenk: „Nun kommen die Netzwerker und ­sagen: „Journalisten machen keine PR“. Ein Satz, den engagierte KollegInnen im Tiefsten ihres Innern sicher gut heißen! Aber die Realität ist eine andere: Selbst gestandene Journalisten machen nicht nur Journalismus, sondern auch PR, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Nur: Sie trennen sauber, oder versuchen es zumindest! Da provozieren die apodiktisch formulierten zehn Netzwerk-Regeln eher ­genau so überzogene Gegen-Thesen wie die des inzwischen im Printformat eingestellten Medienmagazins
V.i.S.d.P: „Journalisten machen pausenlos PR“. Fakt ist: der Druck der werbenden Wirtschaft und von Profitmaximierern auf Redaktionen wächst, in Zeitungs-Monopolkreisen oder bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt’s sogar steigenden Politik-Druck – von ambitionierten Tendenzverlegern mal ganz abgesehen. Eine oft unterschätzte Gefahr ist auch die emotionale Nähe von Fachjournalisten zu Entscheidern in ihrer Branche: Einerseits sind zuverlässige Kontakte und Quellen notwendig, andererseits erwächst aus Einsichten und Achtung ein menschlich verständliches, aber trotzdem professionell zu unterdrückendes „emotionales Bestechungspotenzial“.“

Das alles thematisiere Netzwerk Recherche in seinem Medienkodex ebenso wenig wie die Ursachen dafür, dass viele freie Journalisten allein von journalistischer Arbeit kaum überleben könnten.

Nach praktikablen Lösungsvorschlägen, wie dieser Trend zu stoppen und umzukehren sei, suche man vergeblich. Andere Kritiker werfen die „Kodexierern“ fehlende Realitätsnähe aus dem Blickwinkel sicherer beruflicher Positionen des öffentlichen Rundfunks vor: Thomas Leif, geb. 1959, promovierter Politikwissenschaftler, ist Chefreporter Fernsehen beim SWR in Mainz.

 

Links und Quellen
 

Medienkodex Netzwerk Recherche
Presskodex Deutscher Pressrat
Karin Wenk: „Einzeln oder vernetzt“?
Stellungsnahme von Thomas Leif, aus: V.i.S.d.P. 03/2006 (PDF)
Interview mit Thomas Leif, aus: insight 04/2006 (PDF)
ZAPP v. 15.11.2006: „Der Deutsche Presserat wird 50“