Magazin für Medienjournalismus. Ausgabe 62
Seit 1998 herausgegeben von Björn Brückerhoff

Neue Gegenwart®
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Onlinepreise als Wegweiser
im digitalen Dschungel

Befragung der Preisträger:innen des Grimme Online Award

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Falsche Informationen, anstandslose Debatten, Vandalismus, Schleichwerbung – derzeit ist viel von den negativen Seiten des Internets die Rede. Aktuelle Phänomene wie Fake News, Hasskommentare und Co. scheinen die Qualität des Internets in mancher Hinsicht in Frage zu stellen. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass das Internet viel mehr kann als seine Vorgängermedien: Teilhabe und Zusammenarbeit, Multimedialität und Virtualität, grenzenlose Vernetzung und authentische Nähe. Wer aber nutzt diese Möglichkeiten und schafft Qualität im Netz?

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Lena Gerlach

Lena Gerlach

Lena Gerlach studiert im dritten Semester im Masterstudiengang „Medien und Politische Kommunikation“ an der Freien Universität Berlin. Sie arbeitet als studentische Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle „Digitalisierung und Partizipation“ von Prof. Dr. Christoph Neuberger am Institut für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft.Gleichzeitig war sie Teilnehmerin des Projektseminars, in dessen Rahmen die Studie stattgefunden hat. Ihren Bachelorabschluss hat Lena Gerlach am Institut für Publizistik in Mainz gemacht, wo sie heute als Mitglied des Vorstandes die Aktivitäten der Alumnistiftung koordiniert.

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Medienpreise und Qualität
In Zeiten zunehmender Informationsflut und Angebotsvielfalt helfen Onlinepreise wie der Grimme Online Award den Nutzer:innen, sich im digitalen Dschungel zurechtzufinden. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf jene Angebote, die eine Jury aus Expert:innen als herausragend eingestuft hat. Preise geben aber nicht nur Auskunft über die publizistische Qualität von Angeboten, sondern sie definieren auch, was Maßstab für Qualität sein soll. Damit geben sie einem weniger sachkundigen Publikum Orientierung. Einige Beispiele aus dem Preisjahr 2020: Mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurden Angebote, die zeigen, wo zuverlässige Informationen über das Corona-Virus zu finden sind, wie wichtig das Thema „Organspende“ ist und wie unterhaltsam eine YouTube-Talkrunde sein kann. Aber nicht nur das Publikum hat etwas von Preisen, sondern auch die Kreativen, die unter einem ständigen Innovationsdruck stehen. Ihnen können die ausgezeichneten Angebote als Vorbild und Inspiration dienen (Neuberger 2020).

Perlentaucher und Trenderkenner: Der Grimme Online Award
Im Jahr 2020 ist der Grimme Online Award zwanzig Jahre alt geworden. Anfangs galt er noch als „kleiner Bruder“ des Grimme-Fernsehpreises. Inzwischen ist er aus den Kinderschuhen gewachsen und wird als „wichtigste deutsche Auszeichnung für herausragende Online-Publizistik“ (dpa/jael 2020) bezeichnet. Laut Statut will er „beispielhafte Orientierung für publizistische ‚Qualität im Netz‘“ geben, also auf Vorbildliches hinweisen. Wer könnte also besser geeignet sein, Auskunft über Qualitätsmaßstäbe im Internet zu geben, als die Preisträger:innen des Grimme Online Award? Für die Studie wurden alle bisherigen Gewinner:innen der Jahre 2001 bis 2019 im Sommer 2020 befragt. Insgesamt nahmen 68 von ihnen an der Online-Befragung teil, was einer Rücklaufquote von 48 Prozent entspricht.

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Info: Grimme Online Award
Seit dem Jahr 2001 werden mit dem Grimme Online Award vom Grimme-Institut in Marl jährlich qualitativ hochwertige Onlineangebote ausgezeichnet. Die Entscheidung trifft eine Jury aus Expert:innen in den vier Kategorien „Information“, „Wissen und Bildung“, „Kultur und Unterhaltung“ sowie „Spezial“. Zudem gibt es einen Publikumspreis.

Disclaimer: Neue Gegenwart ist 2004 in der Kategorie Medienjournalismus mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet worden.

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Gute Angebote müssen verständlich und glaubwürdig sein
Was macht ein hochwertiges Angebot im Internet aus? Eine Frage, die auf den ersten Blick nicht leicht zu beantworten ist und bei deren Klärungsversuch schon so mancher Puddingrest auf Wänden haften geblieben sein dürfte. [1] Die Antworten der Preisträger:innen verraten, dass sie eine Vielzahl von Merkmalen für wichtig halten, wenn sie Qualitätsurteile fällen. Fast alle abgefragten Qualitätskriterien [2] wurden als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ eingestuft, was trotz der Angebotsvielfalt für ein recht einheitliches Qualitätsverständnis spricht. Am wichtigsten ist, dass Onlineangebote verständlich sind. Als ähnlich relevant wird die Glaubwürdigkeit von Onlineangeboten empfunden. Im Vergleich dazu sehen Medienschaffende es als weniger wichtig an, dass sie neutral und reichweitenstark sind. Innerhalb der einzelnen Preiskategorien, in denen Angebote ausgezeichnet werden, finden sich kaum spezielle Qualitätskriterien.

Qualitätskriterien als Spiegel aktueller Entwicklungen im Netz
Im Zeitverlauf lassen sich hingegen Veränderungen feststellen: Während es für frühere Gewinner:innen (2001 bis 2009) weniger wichtig war, dass ein Angebot innovativ und transparent ist, scheinen diese Kriterien für jüngere Preisträger:innen (2009 bis 2019) eine größere Rolle zu spielen. Zwei Gründe könnte es dafür geben: Zum einen setzen die zunehmende Angebotsmasse und der damit einhergehende Konkurrenzkampf Anbieter:innen immer stärker unter Druck, sich durch innovative Ideen und Formate von anderen abzuheben. Andererseits könnte der Anstieg von manipulativen Botschaften und Falschinformationen im Netz dazu führen, dass es wichtiger wird, dass Onlineangebote transparent sind. 

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Hintergrund der Studie
Die Studie wurde als Seminarprojekt mit Masterstudierenden unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Neuberger am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin durchgeführt. Zur Vorbereitung der Hauptstudie, einer quantitativen Befragung der PreisträgerInnen des Grimme Online Award im Zeitraum von 2001 bis 2019, interviewten die Seminarteilnehmer:innen ausgewählte PreisträgerInnen. Arbeitsgruppen werteten die qualitativen Leitfadeninterviews inhaltsanalytisch aus. Auf dieser Grundlage wurde ein standardisierter Fragebogen entwickelt. Die Befragung der Preisträger:innen fand im Juni und Juli 2020 statt. Unterstützt wurde das Projekt vom Grimme Institut in Marl. Teilnehmende des Seminars waren: Anastasiia Hryshyna, Ann-Kathrin Rust, Antonia Salvina Schütte, Clara Katharina Schöft, Georgia Leontopoulou, Hanna Sophia Paulke, Konstantin Wolfgang Berger, Lena Gerlach, Lilith Esta Hethey, Lisa Sophie Ludwig, Lisa-Marie Brehmer, Marlen Corrado, Michelle Frydrych, Raoul Danilo Spada, Raphael Kwizera Tadi Mayr, Sarah Elisabeth Birkhäuser, Susanne Hehr, Winona Marie Schnellbächer.

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„Bitte da entlang“ – Können Onlinepreise Wegweiser sein?
Nun zur Frage, welche Rolle Preise für das Erkennen und Aufspüren von Qualität im Netz spielen. Um zu erfahren, ob Onlinepreise tatsächlich eine Art Wegweiser sein können, wurden die Preisträger:innen gefragt, welche Funktionen sie ihnen zuschreiben. Hier zeigen die Antworten, dass Onlinepreise insbesondere dazu führen, dass Gewinner:innen mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung unter Kolleg:innen erhalten. Außerdem bewirken Preise, dass Bekanntheit und Anerkennung innovativer Formate steigen. Kurzum: Preise heben die Qualität von Angeboten und machen dies nach außen hin sichtbar. Vergleicht man die Antworten älterer und jüngerer Gewinner:innen, zeigt sich erneut, dass in jüngster Vergangenheit Onlinepreise zum Aufspüren und Kenntlichmachen hochwertiger Angebote wichtiger geworden sind. Grund dafür könnte ein gestiegener Bedarf des Publikums nach Orientierung sein. Onlinepreise erfüllen also zunehmend eine Navigationsfunktion.

„Offiziell für gut befunden“ [3]
Dass insbesondere der Grimme Online Award als eine Art „Gütesiegel“ und damit als Wegweiser in der Medienbranche wahrgenommen wird, zeigen die Antworten der Sieger:innen auf die Frage nach den festgestellten Auswirkungen des Preisgewinns. Dabei lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Während reine Onlineangebote, also solche, die ausschließlich im Internet vorzufinden sind, durch den Preisgewinn vor allem mehr Aufmerksamkeit und Popularität bekommen, verschafft der Grimme Online Award den Internetablegern klassischer Medien mehr Legitimation im eigenen Haus. Gleichzeitig ermöglicht er hier mehr Freiräume für Experimente. Ökonomische Erfolge als Auswirkung des Gewinns, beispielsweise höhere Einkommen, mehr Aufträge oder neue Finanzierungsmöglichkeiten, bleiben hingegen in beiden Gruppen aus. Mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Angebote dienen häufig als Vorbild für andere. Befragte Preisträger:innen stellten vor allem bei „Inhalt“, „visueller Aufbereitung“ sowie „Konzept/Aufbau“ eine Orientierung anderer Angebote fest.

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Fußnoten

  • [1] Den mittlerweile abgedroschenen „Qualitäts-Pudding-Vergleich“ (Ruß-Mohl, 1992, S. 85) konnte ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen, Kenner:innender Qualitätsliteratur schmunzeln hoffentlich.
  • [2] Abgefragt wurde die Beurteilung der Wichtigkeit Qualitätsmerkmale: „Verständlichkeit“, „Glaubwürdigkeit“, „Usability“, „Verlässlichkeit“, „Inhaltliche Tiefe“, „Transparenz“, „Visuelle Gestaltung“, „Orientierung“, „Kanalspezifische Aufbereitung“, „Innovation“, „Partizipation“, „Multimedialität“, „Unterhaltung“, „Aktualität“, „Neutralität“und „Reichweite“.
  • [3] Schriftliche Angabe eines Preisträgers zur Frage, welche zusätzlichen positiven Auswirkungen der Gewinn zur Folge hatte.
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Literatur

  • dpa/jael (2020). Virologe Drosten gewinnt Grimme Online Award für seinen Corona-Podcast. In: SZ.de v. 25.06. Link.
  • Neuberger, Christoph (2020). Medienpreise und ihr Beitrag zum Qualitätsdiskurs. In Gerlach, Frauke (Hrsg.), Medienqualität: Diskurse aus dem Grimme-Institut zu Fernsehen, Internet und Radio (S. 23-33). Bielefeld: transcript.
  • Ruß-Mohl, Stephan (1992). Am eigenen Schopfe... Qualitätssicherung im Journalismus. Grundfragen, Ansätze, Näherungsversuche. Publizistik, 37(1), 83-96.
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Empfohlene Zitation:
Gerlach, Lena (2021): Onlinepreise als Wegweiser im digitalen Dschungel. In: Brückerhoff, Björn (Hrsg.): Neue Gegenwart. Magazin für Medienjournalismus. Schwerpunkt Qualität. 24. Jg., H. 62. Permanlink.

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