ZENSUR
"Ein Bild lügt mehr als tausend Worte"


TEXT: MICHAEL FEUERSENGER
BILD: PHOTOCASE.DE



Die Gegenwart im Gespräch mit Verleger und Autor Roland Seim über die Macht der Bilder und die Frage, was wir heute noch glauben können.

"Zensur erscheint auf den ersten Blick entweder als ein typisches Beispiel für Diktaturen oder für längst vergangene Epochen. Aber auch in einem freiheitlichen Rechtsstaat werden die Mittel der Zensur als notwendig erachtet, etwa um eine Gefährdung von Jugend und Moral, von persönlicher Ehre oder gesellschaftlichen Normen zu entgegnen." (Seim, Roland, Zwischen Medienfreiheit und Zensureingreifen. Eine medien- und rechtssoziologische Untersuchung zensorischer Einflußnahmen auf bundesdeutsche Populärkultur, Münster, 1997.)

Herr Dr. Seim, durch die Welt ging ein Ruck, als die Bilder misshandelter irakischer Gefangener veröffentlicht wurden. Hinter der international breiten öffentlichen Reaktion stehen nicht nur Empörung und Entsetzen, sondern auch die Frage: Muss wirklich alles gesagt und gezeigt werden?

Roland Seim: Die Öffentlichkeit hat ein grundsätzliches Recht auf Berichterstattung, hinter dem die Frage der Zumutbarkeit zurücktritt. Wenn eine Darstellung in Bild und Ton authentisch ist und der politischen, gesellschaftlichen oder zeithistorischen Information dient, kann sie in den wenigsten Fällen verboten werden. Mit Paragraf 131 kennt das deutsche Strafgesetzbuch zwar ein Verbot gewaltverherrlichender Inhalte jedoch nur auf dem Unterhaltungssektor, bei Horrorfilmen zum Beispiel. Das ist nicht unumstritten. Im Medienbereich haben letztlich Herausgeber und Intendanten ihre Inhalte zu verantworten. Sie haben mit jeder Information neu zu entscheiden, wie weit und wie drastisch sie tatsächliche Ereignisse unverschönt spiegeln wollen. Das ist deshalb eine so bedeutende Grenzfrage, weil jeder einmalige Gewaltakt durch seine Reflexion in den Medien ja zugleich multipliziert wird. Hinsichtlich der Bildberichterstattung stellt sich für mich die Frage nach einer Zensur heute dennoch weniger vor dem Hintergrund der Frage der Zumutbarkeit für Leser, Hörer, Zuschauer.

AUSGABE 38
DER BILDERSTURM




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Vielmehr sollten doch die Möglichkeit der Vorzensur wahrgenommen und kritisch diskutiert werden und die Frage: Haben wir wirklich alles gesehen? In Ihrer Dissertation zum Thema Zensur von 1997 beschreiben Sie Zensur zuerst als Charakteristikum totalitärer Staaten. Heute stehen zunehmend auch demokratische Rechtstaaten unter dem Verdacht, Informationen gezielt zu verbreiten oder zurück zu halten.

ZUR PERSON



Dr. Roland Seim, M.A.
Telos Verlag
RolandSeim.de
Medialog e.V.

Seim: Das Bemühen um die Einflussnahme auf die private und die öffentliche Meinung ist durch die Weltgeschichte hindurch ein Anliegen der Machteliten gewesen. Es gilt der Satz: Wer die Information kontrolliert, der hat Macht. Durch die immer rasanter fortschreitende Technisierung ist in den letzten Jahrzehnten so etwas wie eine totale Kontrolle der Information möglich geworden. Politische Maßnahmen und militärische Operationen - alles kann öffentlichkeitswirksam inszeniert werden. Von diesen Möglichkeiten machen in der Tat auch demokratische Rechtsstaaten Gebrauch. Denken wir beispielsweise an das Stichwort "patriot act", unter dem die USA nach dem 11. September verfügten, dass in ihren Medien keine Amerika-kritische Berichterstattung erfolgen dürfe. Oder an die Installierung so genannter "embedded journalists", die während des Irak-Feldzugs mit selektierten Informationen und diese unterstützendem Bildmaterial versorgt wurden, die der Welt den Eindruck eines sauberen Krieges ohne Leid und Tot vermittelten. Das sind zwei Beispiele für vorzensorisches Eingreifen in den Medien. Eine solche Einflussnahme ist den USA beispielsweise sogar verfassungsrechtlich verboten. Dort soll ein sogenanntes "First Amendment" die wahrheitsgemäße Berichterstattung garantieren. Dass sich die USA bemühen, gerade diese Ergänzung in der Verfassung zu reformieren und damit zu entschärfen, kündigt womöglich einen vollständigen Paradigmenwechsel hinsichtlich objektiver Berichterstattung an.

Die Manipulierbarkeit der Weltbevölkerung ist durch die Technisierung und die zunehmende Wendung zu den Bildern innerhalb der Medien noch gestiegen. Bleibt die Frage: Was kann ich noch glauben?

Seim: Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Ein Skandal wie die veröffentlichten Folterdokumentationen aus dem Irak bleiben nie folgenlos. Im Gegenteil schärfen sie das Bewusstsein der Menschen für die Möglichkeit der Manipulation von Texten und Bildern. In dieser Folge beginnen die Menschen wieder neu, kritisch hinzuschauen, die verfügbare Information zu reflektieren und zu vergleichen. Es ist wie mit der Büchse der Pandora, ist der erste Skandal aufgedeckt, wird intensiver nachgefragt und gründlicher hingeschaut. Die Wirkung verfehlter Informationspolitik bewirkt, das erwarte ich, eine Rückbesinnung auf die Verpflichtung zur Wahrheit, das heißt hier, zur objektiven Berichterstattung.


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