Rettungsanker der Musikbranche?


Text:
Björn Brückerhoff   Bild: Photocase.de

Nach jahrelangem Jammern und Wehklagen wagt die Musikbranche erstmalig optimistische Blicke in Richtung Zukunft. Klingeltondownloads und Musik-Abodienste sind als schwache Hoffnungsschimmer am düsteren Vermarktungs-Firmament aufgetaucht. Die Gegenwart sprach mit dem Medienexperten Professor Thomas Breyer-Mayländer über die Rettungsanker der Musikindustrie, Erfolg versprechende Musikdownload-Modelle und den seltsamen Erfolg des Schnappi-Songs.

Die Gegenwart: Herr Professor Breyer-Mayländer,
wie macht sich die Trendwende in der Musikindustrie bemerkbar?

Thomas Breyer-Mayländer: Ob man wirklich von einer Trendwende sprechen kann, bleibt nach meiner Einschätzung noch abzuwarten. Schließlich haben wir schon Zufriedenheit in der Branche, wenn der Rückgang sich verlangsamt. Hoffnungsvoll stimmt aus meiner Sicht die Tatsache, dass in wichtigen Segmenten der „Brenner-Studie“ über die meist illegalen Musikkopien sich in einigen Bereichen Stagnationen und Rückgänge bemerkbar machen.

AUSGABE 42
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Die Gegenwart: Reichen Klingeltöne und legale Mp3-Downloads aus, um das Kerngeschäft der Musik-industrie zu stützen? Oder ist das Kerngeschäft gar nicht derart dramatisch betroffen?

Thomas Breyer-Mayländer: Ob der Bereich der Klingeltöne ein langfristiges Geschäft ist, bleibt offen. Legale Downloads sind jedoch die Möglichkeit, um zukunftsfähige Geschäfts-felder der Branche insgesamt zu erhalten. Hier sollte man künftig noch mehr Ehrgeiz darauf verwenden.

Die Gegenwart: Die Zielgruppe für Handy-Klingeltöne ist sehr flexibel und trendorientiert. Halten Sie Klingelton-Downloads für einen anhaltenden Trend oder eher für einen kurzen Hype?

Thomas Breyer-Mayländer: Ob wirtschaftlich gesehen Klingel-töne langfristig entwickelbar sind, bleibt tatsächlich offen. Aber es wird auf jeden Fall Folgeprodukte geben und die Zielgruppe ist zwar trendorientiert, aber auch attraktiv für andere Werbungtreibende. Es wird daher mehr und mehr Versuche geben, klassische Vermarktungsmodelle, die die Zielgruppenzusammensetzung berücksichtigen, einzuführen.

ZUR PERSON


Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer
Dipl. Wirt.-Ing. (FH), Dipl. Inf.-Wiss.
 

Thomas Breyer-Mayländer ist Professor für Medienmanagement im Studiengang Medien und Informationswesen an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Medien der Fachhochschule Offenburg. Seit dem Wintersemester 02/03 leitet er zugleich den Studiengang Medien und Informationswesen. Breyer-Mayländer studierte in Stuttgart und Konstanz und promovierte im Bereich Medienökonomie des Instituts für Journalistik der Universität Dortmund. Nach dem Aufbau eines Online-Dienstes für einen Zeitschriftenver-lag wechselte er 1995 zum Bundesverband Deutscher Zeitungs-verleger (BDZV), wo er in verschiedenen Funktionen tätig war. Von 1998 bis 2000 war er darüber hinaus Geschäftsführer der OnlineMedia DatenBank Betriebsgesell-schaft, Bonn. In den Jahren 2000 und 2001 war er Geschäftsführer der zentralen Marketingorganisation der deutschen Zeitungsbranche, der Zeitungs-Marketing Gesellschaft GmbH & Co. KG in Frankfurt am Main. Seit 1996 ist er regelmäßig als Seminarleiter und Referent bei Fachseminaren der Medien- und Marketingbranche tätig.

Die Gegenwart: Was kommt als nächstes?

Thomas Breyer-Mayländer: Prognosen sind in diesem Umfeld sehr schwierig. Es wird jedoch sicherlich künftig Community orientiertes Marketing geben, bei dem Elemente, wie wir sie jetzt bei Klingeltönen im Abo, Call-in im TV erleben, zielgruppenorientiert genutzt werden. Dies ermöglicht einen neue Art des erlebnisorientierten Community-Marketings, das wir insbesondere bei jungen Zielgruppen derzeit als Anforderung im Markt erleben. Hier bieten sich auch wieder Querverbindungen zum Eventmarketing an.

Die Gegenwart: Die Zahl der Musikdownloads hat sich 2004 gegenüber dem Vorjahr verzehnfacht. In Japan sind bereits 100 Millionen Dollar mit Musik auf Mobiltelefonen umgesetzt worden. Wie schätzen Sie den Erfolg von Klingelton-Downloads in Deutschland mittelfristig ein? Werden diese als Nebenprodukt der Musikindustrie überbewertet?

Thomas Breyer-Mayländer: Ich kann mir vorstellen, dass es hier Anwendungsbereiche im Bereich „Freizeit“ und „portable devices“ geben wird, die derzeit noch nicht absehbar sind. Was hier vor allem auffällt ist die attraktive Zielgruppe, ihr Alter, ihre Konsummerkmale, die sich mit diesen Medien auseinandersetzen.

Die Gegenwart: „P2P – Wir sind alle Piraten“. Das steht über einem Manifest, das von dem französischen Wochenmagazin „Le Nouvel Observateur“ veröffentlicht worden ist. Darin heißt es: „Wie acht Millionen andere Menschen in Frankreich haben auch wir schon Musik aus dem Internet herunter geladen und sind demnach potentielle Verbrecher. Wir verlangen die sofortige Einstellung dieser absurden juristischen Verfolgung.“ Zu den ersten Unterzeichnern des Schreibens zählen Musiker wie Khaled oder Manu Chao, Globalisierungsgegner, Politiker, Künstler und Wissenschaftler. Ist die kostenlose Verbreitung von Mp3s nur durch eine konsequente „Illegalisierung“ zu stoppen?

Thomas Breyer-Mayländer: Es kann nur um Aufklärung der Konsumenten, Klarstellung der Rechtslage und Erhöhung des Kundenservices und der Attraktivität der Angebote gehen. Ein Element allein wird hier nicht ausreichen, sondern eine ausschließliche Fixierung auf die gegenwärtige Rechtslage birgt die Gefahr einer Änderung im Rahmen einer Nachregulierung in sich.

Die Gegenwart: Napster.com bietet einen Abo-Dienst für Musik an, bei dem man für 15 Dollar unbegrenzt viel Musik herunterladen kann. Der Haken: Digital Rights Management verhindert, dass die Stücke dauerhaft im Besitz des Users bleiben. Kündigt er Napster wieder, verschwinden auch die Tracks. Haben solche Modelle Zukunft? Oder ist eher Apples "iPod"-Modell Erfolg versprechend, bei dem für jeden Song 99 Cent bezahlt werden müssen?

Thomas Breyer-Mayländer: Die übersichtlichen Modelle mit „unbegrenzter Haltbarkeit“ sind einfacher zu vermitteln und zu vermarkten. Alles andere birgt die Probleme des Clubmarketings in sich, was derzeit ja im Buch- und Tonträgersektor nicht ganz einfach zu handlen ist.

RECHTS-INFO



Stichwort Klingeltöne
Eine Rechts-Info des Hamburger Medienanwaltes
Jens O. Brelle:

„3 mono Töne & Logos für € 2,99/Monat bzw. 5 poly Töne & Logos bzw. 4 Reals & Logos je € 4,99/Monat (zzgl. Musicnews + WAP-Inhalte) im Jamba! Sparabo zum Abruf (+ Transport). Abo-Kündigung per SMS mit “Stopgigaton” (mono Giga Ton) bzw.
“Stopgigapoly” (Poly Giga Ton) bzw. “Stopgigareal” (Giga Reals) an 33333 (€ 0,20/SMS). Tel: 0180-5554890 (€ 0,12/Minute). Minderjährige Besteller benötigen die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten.“

Diese und andere kaum durchschaubaren Bestellbedingungen lösten Mitte Dezember 2004 eine wahre Anti-Jamba-Hysterie aus. Der Klingeltonlieferant geriet durch eine Welle der Empörung in Weblogs unter Druck.

M
ehr zum Thema:
Spreeblick

Die Rechtsprechung hält solche unüberschaubaren Bedingungen zudem für unzulässig: Eine gezielte Werbung für Telefonmehrwertdienstleistungen gegen-über Kindern und Jugendlichen in Jugendzeitschriften ist sittenwidrig, wenn sich die Kosten nicht übersehen lassen und das Produkt an jedem Ort und zu jeder Zeit bestellt werden kann, so das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg in einem Urteil vom 10. April 2003 zur „BRAVO Girl“. Ähnlich das OLG Hamm, in einem Urteil vom 24. Juni 2004: Werbung in Jugendzeitschriften für das Herunterladen von Klingeltönen über 0190-Telefonnummern nutzt die geschäftliche Unerfahrenheit von Jugendlichen in wettbewerbswidriger Weise aus. Das Marktpotenzial für Logos und Klingeltöne ist riesengroß: es wird auf dem europäischen Markt nach einer Studie des Marktforschungsinstitutes Strand Consult mit einem Gesamtvolumen auf ca. 1,45 Mrd. US-Dollar geschätzt.  Neben der wettbewerbsrechtlichen Problematik kommt jedoch eine urheberrechtliche Problematik hinzu. Bisher war es strittig, ob Klingeltöne eine neue Nutzungsart darstellen oder nicht. Nach diesem Kriterium des §31 Abs.4 UrhG kann der Urheber immer dann eine Nachvergütung verlangen, wenn das ursprüngliche zur Nutzung übertragene Werk in Form einer neuen, bislang unbekannten Form genutzt wird. Inzwischen wurde dies für die Nutzung von Klingeltönen bestätigt. Zudem haben inzwischen alle Verwertungs-gesellschaften sich die entsprechenden Nutzungsrechte übertragen lassen. Umstritten bleibt lediglich, ob Klingeltöne eine einwillungsbedürftige Bearbeitung des Urhebers darstellen. Das LG Hamburg hat das Erfordernis eines Bearbeitungsrechts eines Urhebers im Dezember 2004 bejaht. Die Urheber haben also sowohl ein Recht auf Nachvergütung und müssen der Bearbeitung ihrer Musik für Klingeltöne zustimmen.

Die Gegenwart: Digital Rights Management ist ein weiterer Schritt zum gläsernen Kunden. Machen die Leute das mit?

Thomas Breyer-Mayländer: Sie werden es dann mitmachen, wenn es den Konsumkomfort erhöht und nicht verringert. Solange unterschiedliche technische Plattformen dazu führen können, dass der Aufwand zum Abspielen legaler Musik verhältnismäßig groß ist, haben solche Systeme keine Chance. Voraussetzung ist jedoch eine offene Vermarktung der Digital Rights Management-Ansätze.

Die Gegenwart: Wie erklären Sie sich den riesigen kommerziellen Erfolg des Schnappi-Songs, obwohl er im Internet monatelang kostenlos herunter geladen werden konnte?

Thomas Breyer-Mayländer: Wir werden immer wieder Nischen erleben, wo zeitlich oder von der Zielgruppe begrenzt Songs eine riesige Themenkarriere machen, wie das bei Karneval oder anderen Saisonveranstaltungen, zum Beispiel Fußball oder ähnliches schon vor Jahrzehnten der Fall war. In einem solchen Fall entsteht eine „künstliche Konsumrivalität“, die dazu führt, dass man diesen Song haben muss. Das heißt der Druck im Markt und die Tendenz zum Konsum werden sehr groß. Dies hat mit der Qualität der Songs nicht viel zu tun, sondern gehorcht dem Prinzip des Agenda-Settings.


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