Text: Marcus Bölz
Bild: Sora (Prompt: Björn Brückerhoff)
Gerade in Krisenzeiten kann uns eine Informationsflut überfordern. Wie können wir den Medienkonsum auf ein gesundes Maß reduzieren?
Panzerschlachten, Waffenlieferungen, Todesopfer, entführte Kinder. Es klickt. Das Smartphone leuchtet auf. Aktuelle Nachrichten werden gescrollt. Schon wieder ein Klicken. Der Blick wandert schnell über blinkende Lichter. Erneutes Klicken. Die App eines TV-Senders öffnet sich. Sie wischen mit dem Daumen über mehrere Artikel und lesen angestrengt mit müden Augen. Vielleicht halten Sie bei einer Überschrift inne. Erneutes Klicken. Uff! In was für einer Welt leben wir eigentlich gerade? Wer hält das alles noch aus?
Informationsüberflutung, insbesondere Nachrichtenüberflutung, ist natürlich kein neues Phänomen. Aber ihre Auswirkungen auf unseren Medienkonsum und unser Wohlbefinden sind in Krisenzeiten wie diesen besonders ausgeprägt. Aktuelle Mediennutzungsdaten aus Studien zur Massenkommunikation und der ARD/ZDF-Online-Studie zeigen, dass der durchschnittliche Deutsche durchschnittlich etwas mehr als zehn Stunden pro Tag mit der Rezeption von Medien verbringt. Was bringt uns das? Und was passiert mit Kindern und Jugendlichen, die heute wie selbstverständlich ebenfalls dem Nachrichtenfluss ausgesetzt sind?
Da Medien so tief in unserem täglichen Leben verankert sind, gibt es immer weniger Räume ohne Medien. In Krisenzeiten nimmt die Informationshäufigkeit zu. Durch die Digitalisierung wird die mediale Synchronisierung zu einem Echtzeiterlebnis des realen Grauens. Die Menschen brauchen Informationen, insbesondere weil Krisen wie Pandemie, Krieg oder Klimazerstörung Sorgen bereiten. Die Krise wird zum permanenten und seriellen Ereignis wie die Fußball-Bundesliga oder Germany's Next Topmodel. Die Leute verfolgen die Nachrichten aufmerksamer und geraten in eine emotionale Spirale der Erregung. Die Unsicherheit nimmt zu. Einerseits beschäftigen uns die durch die Krise verursachten Spannungen. Andererseits haben wir ein zunehmend voyeuristisches Interesse an der medialen Erregung. In akademischen Milieus gerne auch an der moralischen Erregung, die wir medial serviert bekommen. Schau mal, wie können die nur?
Für den Zustand, in dieser Spirale der schlechten Nachrichten gefangen zu sein, haben sowohl die Medienpsychologie als auch die Journalistik einen Namen: Doomscrolling. Übersetzt bedeutet das so viel wie „sich digital durch den Untergang blättern“. Eine aktuelle Studie der University of Florida ergab, dass Menschen soziale Medien gezielt nach negativen Nachrichten durchsuchen und dabei oft die Zeit vergessen. Den Autoren zufolge wird dieses Verhalten durch soziale Situationen, Algorithmen, endlose Nachrichtenströme, Verlust der Selbstkontrolle und Krisen beeinflusst.
Der Wunsch, informiert zu werden, ist ein hochfunktionaler Bewältigungsmechanismus, der jedoch die Unsicherheit bei Pandemien, Klimakrisen und Kriegen in der Ukraine nicht verringert. Hier gibt es keine Lösung, sodass jede funktionale Problemumgehung zwecklos ist. Um medienkompetent handeln zu können, müssen wir uns darüber im Klaren sein, wie wir Medien konsumieren. Was tut mir gut und was ist eine Belastung? Und: Es tut weh und ist schwer zu akzeptieren, aber es gehört zur Realität, dass wir uns in Krisenzeiten wie dieser mit gewissen Grundängsten auseinandersetzen müssen.
Für Kinder und Jugendliche gilt: Eltern sind wichtige Vorbilder, wenn es um den Medienkonsum geht. Regeln wie das Handyverbot am Esstisch oder im Schulflur machen nur dann Sinn, wenn sich auch Erwachsene daran halten. Wer relevante Informationen gezielt behalten möchte, sollte Grenzen ziehen. Zu viel Konsum von Nachrichten im Netz führt dazu, dass viele Informationen neuronal nicht eingeordnet werden können. Wenn wir alle unsere wachen Stunden damit verbringen, Informationen zu sammeln, können wir sehr falsch informiert sein. Beim Entspannen in der Natur oder beim Schlafen werden Informationen inhaltlich und emotional kategorisiert, gespeichert und verarbeitet. Gespräche steigern das Wissen. Wir sind passiv, wenn wir lesen, zuhören und zuschauen. Nur ein anderer Umgang mit den Informationen, indem man sie beispielsweise anderen erzählt oder sie aufschreibt, hinterlässt ein langfristiges und tieferes Verständnis.
Wir haben Informationsstrukturen in Form von Smartphones, Plattformen und digitalen Netzwerken aufgebaut, die uns ständig ablenken wollen. Ein Geschäftsmodell, das darauf abzielt, die Aufmerksamkeit auf ihr Angebot zu lenken, ist effektiv. Menschen, die ständig zwischen Informationskanälen wie Mobiltelefon und Fernsehen hin und her wechseln, haben es später schwerer, sich an diese Informationen zu erinnern. Doch die Digitalisierung bringt auch viele ungenutzte Chancen mit sich. Unsere größte Herausforderung besteht nun darin, gesunde und nachhaltige Wege zu finden, um dieses Problem anzugehen.
Marcus Bölz
Prof. Dr. Marcus Bölz hat an der Universität Dortmund Journalistik auf Diplom und Psychologie als Nebenfach studiert und 2005 abgeschlossen. Er arbeitete als freier Journalist und als Redakteur für diverse Medien, unter anderem für die Deutsche Welle, DPA, Zeit-Online, die Frankfurter Rundschau, die Schwäbische Zeitung und die Rhein-Zeitung. Nach seiner Promotion im Fachbereich Medien an der Universität Koblenz-Landau und zahlreichen Lehraufträgen an diversen Hochschulen wurde er 2013 an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Hannover zum Professor für Journalistik und Sportpublizistik ernannt. Seit Sommer 2014 ist Bölz Leiter des Instituts für Sportkommunikation der FHM. Er ist verheiratet mit der Journalistin und Theodor-Wolff-Preisträgerin Rena Lehmann sowie Vater von Grete, Romy und Felix Bölz.