FERNSEHLANDSCHAFT
Hybridformate sind Trumpf


TEXT: STEPHAN LENHARDT
BILD: PHOTOCASE.DE



Thomas Gottschalk ist in Deutschlands größter Boulevardzeitung am Krankenbett Küblböcks zu bewundern. Mit den besten Genesungswünschen. Das Krankenbett, glaubt man der Berichterstattung eben jener Zeitung, war in den ersten Wochen wohl eher ein Sterbebett, so dramatisch schien Küblböcks Zustand seit dem Gurkenlaster-Unfall. Die Wahrheit war nicht ganz so dramatisch.

Übrigens echauffierte sich eben jener Thomas Gottschalk laut Jahrbuch Fernsehen 2003, dass die Zlatkos und Küblböcks die tradierten Formen der Fernsehunterhaltung beiseite rüpelten. „Die Figuren, die sie aus mir oder auch aus Günther [Jauch] – ich glaube, der ist der Letzte – gemacht haben, wird es so nicht mehr geben. Es gab ja keine Alternative zu uns“, sagte er da. Und nun steht er warm lächelnd im kalten Krankenzimmer. Fast scheint es so, als ob Küblböck im Land des größten europäischen Fernsehmarktes Narrenfreiheit genösse, wie sie sonst nur dem Fußballkaiser Beckenbauer zuteil wird. Im Ranking eines Privatsenders zu den Hundert nervigsten Deutschen erreichte Küblböck unangefochten
Platz Nummer Eins.
 

Hybridformate auf dem Vormarsch

Wie konnte es soweit kommen? Wer ist eigentlich dieser Daniel Küblböck? Politiker, Spitzensportler, Musiker? Nichts dergleichen. Küblböck ist ein Kind der Medien. Ein Produkt der so genannten „neuen“ Programmformate. Bekannt wurde er durch die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“, die die „untalentierte, aber irgendwie originelle Gesangsschwuchtel“ (Jahrbuch Fernsehen 2003) nicht einmal gewann und dennoch weitaus populärer wurde, als beispielsweise der etwas farblose Gewinner Alexander Klaws.


Doch was heißt eigentlich „neue“ Programmformate? Denn richtig viele Neuigkeiten gibt es seit 2000, der Geburtsstunde von
Big Brother (BB), nicht mehr. Weder in „Deutschland sucht den Superstar (DSDS)“ und schon gar nicht bei der Sendung mit dem einprägsamen Titel „Ich bin ein Star. Holt mich hier raus!“. Und auch die Idee, Menschen mit versteckten Kameras zu filmen, ist ein alter Hut („Verstehen sie Spaß“, „Vorsicht Kamera“ und so weiter).

Es gibt also seit geraumer Zeit nichts „Neues“ mehr. Vielmehr  ist eine Wiederkehr bewährter Programmformate in neuer Mischung derzeit Trumpf bei der Programmplanung der Sendeanstalten. Hybridformate nennt dies die Medienforschung.

Internationale Erfolgsgaranten

Betrachtet man die Entstehungsgeschichten der Sendungen, kann aus deutscher Sicht von Neuheiten nicht mehr gesprochen werden. Big Brother ist eine Erfindung des Holländers John de Mol und lief im Nachbarland bereits vor dem Deutschland-Start. DSDS, ein Konzept des britischen Musikmanagers Simon Fuller, startete in Großbritannien als
„Pop Idol“ ebenfalls vor der Deutschland-Premiere. Und „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ (an dem die britische Produktionsfirma Granada verdiente) lief tatsächlich auch unter dem Titel I´m a celebrity, get me out of here!" in Großbritannien. Kaum hatten diese das Dschungel-Camp verlassen, übernahmen die Deutschen die Regie im wilden australischen Outback. Bloß in dem Teil, in dem das Studio steht, ging es weniger wild zu: Der Großteil der Produktionsstätte war überdacht, der Badetümpel künstlich angelegt und die Tiere von der Produktionsfirma ausgesetzt.

Bemerkenswert auch die Vermarktungsstrategien des Bertelsmann-Konzerns, in dessen Sendern (RTL-Gruppe) alle drei Produkte zu betrachten waren. Bestes Beispiel ist hier DSDS. Die MMC-Studios (RTL-Group-Beteiligung: 25,16 %) verkauften die Karten für die Shows im Kölner Coloneum für einen Preis von 25 Euro. Die Bertelsmann-Tochtergesellschaft Medienfabrik GmbH gibt ein Fan-Magazin heraus. Auf Vox gab es zur zweiten Staffel eine Magazinsendung. Beispiele lassen sich wohl noch einige finden.

Genauso beeindruckend ist natürlich auch der Erfolg der neuen Hybridformate. Die erste Staffel „Big Brother“ erreichte vor allem beim jüngeren Publikum (14-29jährige) einen Marktanteil von 30 bis 40 Prozent. Den Höhepunkt in der Zuschauergunst erlangte „
Ich bin ein Star...“ am 13. Januar 2004 mit 33,3 Prozent innerhalb der oben beschriebenen werberelevanten Zielgruppe. Dementsprechend hoch waren die Werbeeinnahmen. Ein 30sekündiger Werbespot kostete bei „Ich bin ein Star..." bis zu 34.500 Euro. Hinzu kommen bei allen Sendungen die Einnahmen durch die Telefonanrufe der Zuschauer. Die genaue Höhe bleibt freilich unter Verschluss.

Während bei Big Brother die Kandidaten von Sendung zu Sendung hinausgewählt wurden, wird bei DSDS nur noch der Beste unter den Guten gesucht. Die Kandidaten wurden nicht hinausgewählt, sondern hinein - ins Finale. Als klar wurde, dass der Reiz der Schadenfreude, der sicherlich nicht einen geringen Anteil der Zuschauer an den Bildschirm fesselte, nur noch bedingt vorhanden war, wurde in „
Ich bin ein Star...“ die perfekte Symbiose geschaffen. Mittels Telefonanruf wurde bestimmt, wer mehr oder minder appetitliche Prüfungen vor der Kamera bestehen musste. Zum Glück hatte Küblböck einen festen Fan-Kreis, der ihn immer wieder in Aktion sehen wollte.

 
Privates, Intimes und Alltägliches

„Ein attraktives Angebot für spezifische Zielgruppen bleiben Unterhaltungssendungen, die in der ein oder anderen Weise die Realität widerspiegeln bzw. zumindest vorgeben, sie wiederzuspiegeln. Fakt ist, dass sich mit den kommerziellen Sendern Privates, Intimes und Alltägliches ihren Weg auf den Bildschirm gebahnt haben“, schrieb der Medienpädagoge
Uli Gleich bereits vor drei Jahren. Die mittlerweile fünfte Staffel von Big Brother gibt ihm Recht. Die fehlende Authentizität, an der Big Brother zwischenzeitlich krankte, wird nun durch sexuelle Aktivität seitens der Kandidaten ausgeglichen. Ein Szenario, bei dem die bewegte Bettdecke aus der ersten Staffel eher wie eine nackte Brust beim Super Bowl daherkommt.

Pig Brother?

Was bringt die Zukunft?
Simple Life heißt die neueste Sendung auf Pro Sieben, in der die Berufs-Erbin Paris Hilton das harte Dasein auf dem Bauernhof überstehen muss. Und auch den Hörfunk scheint das normale Leben mittlerweile eingeholt zu haben. Der Rheinland-Pfälzische Sender Big FM sendet den Lügendetektor, bei dem Hörer Fragen über ihr Privatleben beantworten.

Pig Brother heißt die Antwort auf versaute RTL 2-Fernsehbilder. Hier kann man sich ganz ungeniert in das Privatleben einer Schwarzwildfamilie einklinken. Per Mausklick, garantiert jugendfrei.


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