KUNST
MoMA in Berlin


TEXT: MARC LAUTERFELD
BILDER: M
USEUM OF MODERN ART


Das Museum of Modern Art (MoMA), New York, zeigt noch bis zum 19. September 2004 in der Neuen Nationalgalerie Berlin über 200 seiner bedeutendsten Werke. Die Ausstellung – ein Publikumsmagnet mit Besucherschlangen, die an den Wochenenden zeitweise einmal um das Gebäude herum reichen – präsentiert die Kunst der Moderne in seltener Bandbreite und Qualität. Zugleich ist mit dem MoMA eine Institution zu Gast, die als Paradebeispiel für das dem Gemeinwohl gewidmete öffentliche Private qualifiziert, denn die Gründung des MoMA ist ohne den Einsatz dreier Vertreterinnen der New Yorker Gesellschaft nicht denkbar.

AUSGABE 37
SCHWERPUNKT DAS ÖFFENTLICHE PRIVATE




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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT JENS O. BRELLE
MOMA IN BERLIN
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Bilderstrecke: Das MoMA in Berlin
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Die Gründung des MoMA

Abby Aldrich Rockefeller (1874-1948) und ihre Freundinnen Lillie P. Bliss (1864-1931) und Mary J. Sullivan (1877-1939) gaben 1929 den Anstoß für ein amerikanisches Haus, das sich ausschließlich der Ausstellung und Sammlung zeitgenössischer Kunst widmen sollte. Der Entschluss, ihre Sammlungen stetig zu erweitern und schließlich in eine öffentliche Ausstellung einzubringen, stieß dabei keineswegs nur auf Gegenliebe. Abby Aldrich Rockefeller begann Anfang der zwanziger Jahre gegen den Widerstand ihres republikanischen Ehemannes Arbeiten amerikanischer Künstler wie Edward Hopper zu sammeln. Lillie P. Bliss, die sich auf post-impressionistische Werke fokussierte, löste mit einer von ihr 1921 angeregten Schau französischer Malerei im Metropolitan Museum derart kontroverse Reaktionen aus, daß sich die Museumsleitung daraufhin entschloß, in absehbarer Zeit kein Forum solcher Ausstellungen mehr sein zu wollen. Ob dieser Erfahrungen waren sich die Sammlerinnen und Freundinnen schnell einig, daß New York ein neues, unabhängiges Museum für moderne Kunst brauche; das „going public“ in institutionalisierter Form war beschlossene Sache.

Als sie 1929 nach einem geeigneten Direktor suchten, empfahl ihnen der Harvard-Kunsthistoriker Paul J. Sachs einen seiner ehemaligen Studenten, den damals 27-jährigen Alfred H. Barr Jr. Am 8. November 1929 – 10 Tage nach dem großen Börsencrash – eröffnete das Museum of Modern Art in angemieteten Räumen an der Fifth Avenue mit einer Schau von Werken u.a. von Cézanne, Gauguin und van Gogh, die in den ersten vier Wochen 43.000 Besucher anzog und ein beachteter Erfolg wurde. Die visionäre Kraft des Gründungsdirektors Alfred H. Barr Jr. gilt hierbei als entscheidend für den frühen wie nachhaltigen Erfolg des MoMA. Das multi-departmental-Konzept, das neben den traditionellen Abteilungen für Malerei, Skulptur und Grafik auch Design, Architektur, Fotografie und Film umfaßt, geht maßgeblich auf seine Initiative zurück. Heute gehören mehr als 100.000 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Architekturmodelle sowie Designobjekte zur Sammlung. Dazu kommen mehr als 19.000 Filme und 140.000 Bücher, Kunstbände und Zeitschriften, die Teil der Museumsbibliothek sind. Das „Herzstück“ des MoMA ist aber das Department for Painting and Sculpture, die weltweit größte zusammenhängende Sammlung der Modernen Kunst des 20. Jahrhunderts. Sie umfaßt 3.200 Werke vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Während die privaten Sammlungen der Freundinnen – Nachlässe und Kunstschenkungen – den Grundstock für das MoMA legten, trug ihr persönliches Engagement dazu bei, das MoMA zum prominentesten Museum des 20. Jahrhunderts zu machen. „Es war eine perfekte Kombination,“ schrieb Nelson Rockefeller, „die Frauen vereinten in sich die finanziellen Möglichkeiten, das Feingefühl und die Kenntnis zeitgenössischer Kunst, welche die Situation erforderte. Um genau zu sein, hatten sie den Mut, die Sache der Moderne auch angesichts von weit verbreiteten Flügelkämpfen, Ignoranz oder dunklen Vermutungen zu verteidigen, es handle sich hier um so etwas wie ein bolschewistisches Komplott.“

Die Berliner Ausstellung

Der Bogen der von John Elderfield (MoMA) und Angela Schneider (Neue Nationalgalerie) kuratierten Berliner Ausschnitt-Ausstellung spannt sich von den späten Impressionisten über die klassische Moderne bis hin zur zeitgenössischen Kunst. Beginnend mit den bahn-brechenden Malern der Jahrhundertwende werden die Zuschauer entlang der Kunstepochen durch die Ausstellung geführt. Cézannes „Jüngling Der Badende“ (ca. 1885) hängt etwa neben van Goghs furioser „Sternennacht“ (1889).


Paul Cézanne: Der Badende


Vincent van Gogh: Sternennacht

Mit der „Sternennacht“ (1889) wird zudem das vermutlich berühmteste Gemälde Vincent van Goghs (1853-90) in der Hauptstadt gezeigt. Dessen eigenwilliger Stil wurde zum Synonym für die innovativste Phase in seinem Leben. In den Wirbeln des tobenden Nachthimmels, den van Gogh während seines Aufenthaltes in der Heilanstalt von Saint-Rémy (1888-89) malte, scheinen sich nicht nur die Visionen eines gequälten Geistes widerzuspiegeln, sondern auch die Vorahnung jener künstlerischen Umwälzungen, die prägend für die europäische Avantgarde des 20. Jahrhunderts werden sollte. In einem Brief, den van Gogh an seinen Bruder Theo schrieb, äußert er sich zwar nicht explizit zur Bedeutung des Bildes, gibt aber dennoch einen entscheidenden Hinweis für seinen Stellenwert: „Dies ist keine Rückkehr zur Romantik oder zu religiösen Vorstellungen. Und obgleich man Delacroix mehr abgewinnt, als es zunächst den Anschein haben mag, (...), kann man die Derbheit der Natur auch auf eine Weise darstellen, die unverfälschter ist als die Vororte oder die Tavernen von Paris...“ So zeugt das Gemälde, das während des intensiven Austauschs van Goghs mit seinen Freunden Paul Gauguin und Émile Bernard entstand, vor allem von seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Fragen des Ausdrucks und Stils.

Es folgen mit umfassenden Werkkomplexen die beiden Protagonisten des 20. Jahrhunderts, Pablo Picasso und Henri Matisse. Ein Leben lang in rivalisierender Freundschaft verbunden, war der um zehn Jahre ältere Matisse für Picasso der einzige Ebenbürtige unter den lebenden Künstlern. Zwei beeindruckende „Kurz-Retrospektiven“ sind so in die Berliner Präsentation integriert, daß beides möglich wird, der Nachvollzug der jeweils eigenen künstlerischen Entwicklung und der Vergleich mit dem künstlerischen Umfeld.


Henri Matisse: Der Tanz


Pablo Picasso: Drei Musikanten

Der Tanz“ und „Drei Musikanten

Als exemplarisch können hier Matisses „Der Tanz“ aus dem Jahr 1909 und Picassos „Drei Musikanten“ von 1921 gelten, beides großflächige Bilder, Meilensteine der Kunstgeschichte, die bei allen Möglichkeiten zum Vergleich auch die Unterschiede klar erkennen lassen. Matisses „Der Tanz“ wird durch den mitreißenden Schwung zum ekstatischen Ausdruck von Lebensfreude und Lebensenergie. Die jungen Frauen, in sparsamer Silhouette gegeben, schwingen und taumeln vor grünem und blauem Grund. Aus Blau, Grün und Rosa entsteht ein großflächiges Farbfeld, das sich durch seine bestechende Einfachheit unmittelbar in unser Auge einprägt. Auch Picassos „Drei Musikanten“ sind von Lebensenergie durchdrungen. Aber die formale Gestaltung ist komplizierter, die Figuren - in der Folge des Kubismus - zerlegt und wieder zusammengesetzt, ineinander verschachtelt, so daß der Betrachter mit seinem Auge auf dem Bild umherwandern muß, um die Gegenstände zu erkennen. Die dunkle Farbigkeit und der kastenartige Raum künden auch von den dunklen Seiten des Lebens. Zugleich erfährt der Betrachter, daß im Werk Matisses primär die Farbe, bei Picasso in erster Linie die Form im Vordergrund des Schaffens steht.

„Der falsche Spiegel“ und „Die Beständigkeit der Erinnerung“

Der Surrealismus, durch seine maßgeblichen Vertreter Salvador Dali und René Magritte repräsentiert, bildet einen weiteren Höhepunkt der Ausstellung. So wird sowohl das Bild „Der falsche Spiegel“ von René Magritte als auch das Werk „Die Beständigkeit der Erinnerung“ von Salvador Dali gezeigt.


René Magritte:
Der falsche Spiegel


Salvador Dalí:
Die Beständigkeit der Erinnerung

Beim Bild „Der falsche Spiegel“ werden zwischen Auge und Wolkenhimmel optische Verbindungen hergestellt. Die Pupille schwimmt als schwarze Scheibe, einer Sonne gleich, im Zentrum. Das von jedem anatomischen Bezug zu einem dargestellten Gesicht isolierte riesige Auge füllt nicht nur die gesamte Höhe und Breite der Leinwand, sondern scheint sich auch noch rechts und links über den Bildrand hinaus fortzusetzen. Das Bild verdankt einen Großteil seiner Wirkung dieser übersteigerten Maßstäblichkeit und der akribischen Malweise. Mit seinem Festhalten an der illusionistischen Technik nimmt Magritte die „handgemalten Traumfotographien“ Salvador Dalis voraus. Dessen Gemälde „Die Beständigkeit der Erinnerung“ stellt in einer öden, scheinbar endlosen Traumlandschaft Metallobjekte dar, die unerklärlicherweise biegsam sind. Metall lockt Ameisen an wie faulendes Fleisch. Die schlaffen Uhren sind so weich wie überreifer Käse – sie sind, in Dalis Worten, „der Camembert der Zeit“. Die Zeit, als Strukturelement, verliert jegliche Bedeutung. Eine um weitere Strukturen beraubte absurde Welt, in der alles möglich ist, zeigt sich ferner auch in den ausgestellten „Readymades“ von Marcel Duchamp.


Marcel Duchamp: Bicycle Wheel

Dessen Gemälde „Die Beständigkeit der Erinnerung“ stellt in einer öden, scheinbar endlosen Traumlandschaft Metallobjekte dar, die unerklärlicherweise biegsam sind. Metall lockt Ameisen an wie faulendes Fleisch. Die schlaffen Uhren sind so weich wie überreifer Käse – sie sind, in Dalis Worten, „der Camembert der Zeit“. Die Zeit, als Strukturelement, verliert jegliche Bedeutung. Eine um weitere Strukturen beraubte absurde

Welt, in der alles möglich ist,  zeigt sich ferner auch in den ausgestellten „Readymades“ von Marcel Duchamp.

Der amerikanische Teil der Ausstellung

Der amerikanische Teil der Ausstellung wird mit Werken von Edward Hopper (1882-1967) eingeleitet. Kein anderer Maler bestimmt mit einigen wenigen Stücken seines Werkes so unsere Vorstellung von Amerika wie er.


Edward Hopper: Gas


Edward Hopper:
Das Haus am Bahndamm

1925 entstand „Das Haus am Bahndamm“, das ein Zeichen für die Malerei des amerikanischen Realismus setzte und den Beginn von Hoppers reifen Malstil einleitete, den er ein Leben lang beibehielt. Waren die Betonung von Umrissen und Perspektiven und der starke Kontrast von Licht und Schatten schon Merkmale früherer Bilder Hoppers, tritt hier erstmals die eigentümlich melancholische Stimmung hervor, die seine Malerei von nun an auszeichnete. Hopper war begeisterter Cineast und wird gerne als Maler der Einsamkeit gedeutet, der seinerseits Generationen von Künstlern und Filmemachern beeinflußt hat. Die Figuren, die Bilder wie Kino in New York (1939) bevölkern, wirken abwesend und in sich versunken. Sein Oeuvre scheint nicht den Menschen, sondern die urbane Umgebung in den Mittelpunkt zu stellen: Motels, Züge, Highways, Theater, Büros. Die kühle Distanz und Präzision, mit der Hopper Alltagsszenen abbildet, transzendiert die Erfahrung amerikanischer Lebenswelten zu grundsätzlichen Zustandsskizzen menschlicher Existenz.

Mit der Pop Art u.a. von Roy Lichtenstein und Andy Warhol setzt sich die amerikanische Kunst fort, die bis zur New Yorker Schule reicht.  Bereits vor der Nationalgalerie begrüßt Barnett Newmans „Broken Obelisk“ (1963 - 1969) die Besucher, der hierdurch – einem Ausrufezeivchen gleich – quasi den Anfang- und Schlußpunkt des nur kurze Zeit in Europa so dicht und konzentriert möglichen Parforce-Ritts durch die Moderne setzt.


Roy Lichtenstein:
Ertrinkendes Mädchen


Barnett Newman:
Gebrochener Obelisk

Hinweise zur Ausstellung:
Ort: Neue Nationalgalerie, Kulturforum, Potsdamer Straße 50, Berlin - Tiergarten. Verkehrsverbindungen: U-/S-Bhf. Potsdamer Platz, Bus 129, 148, 200, 248, 341, 348. Öffnungszeiten: So, Di, Mi 10:00 - 18:00 Uhr; Do – Sa 10:00 - 22:00 Uhr. Eintrittspreise: Dienstag bis Freitag 10 Euro, 5 Euro ermäßigt; Sa, So 12 Euro, 6 Euro ermäßigt. Gruppenführungen: Nur nach Anmeldung unter Fax 030 - 26 55 76 94 oder gruppen@das-moma-in-berlin.de.


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